Samurai-Seide

Durchleben Sie die Modernisierung Japans in Tsuruoka

Im Zentrum der Region Shonai in der Präfektur Yamagata liegt Tsuruoka City, wo die Samurai-Krieger des alten Shonai-Herrschaftsgebiets ihre Schwerter gegen Erdhacken eintauschten, um das Matsugaoka-Neusiedlungsland zu gründen. Dabei legten sie den Grundstein für die am nördlichsten gelegene Seidenraupenzuchtstation Japans, aus der die größte und einzige noch verbliebene Seiden-Produktionsstätte des Landes wurde, in der der komplette Prozess der Seidenherstellung, von der Raupenzucht bis zur Fertigung der Stoffe, erhalten geblieben ist. Neben Matsugaoka findet sich in Tsuruoka auch das Dorf Tamugimata, eine kleine Gemeinde an der Rokujurigoe Kaido, wo noch immer ein vierstöckiges landwirtschaftliches Gebäude steht, in dem einst die Seidenhersteller und die Seidenraupen unter einem Dach untergebracht waren. Dies ist der einzige Ort, an dem noch immer ein Verfahren der Seidenverarbeitung aus der Meiji-Ära (1868-1912) praktiziert wird. Doch hier ist man nicht nur bemüht, die Geschichte und Kultur der Seidenherstellung zu  bewahren, sondern auch darum, einen neuen kulturellen Wert für die Seide zu schaffen. Ein Besuch in Tsuruoka ist nicht komplett, ohne aus nächster Nähe ein Stadtbild gesehen zu haben, das von den Vorvätern Japans in den schwierigen Zeiten seiner Modernisierung geschaffen wurde.  

Der Boshin-Krieg
Schwerter gegen Erdhacken: Das Matsugaoka-Neusiedlungsland
Leben mit den Seidenraupen: Die mehrgeschossigen Bauernhäu...
Gelungene Modernisierung: Wirtschaft und Industrie als Vor...
Schaffung eines neuen Kulturguts und die Gründung einer In...

Der Boshin-Krieg

In einem erbitterten Kampf im Angesicht des Untergangs warf sich der Shonai-Clan tapfer dem Kaiserhof und dem Aizu-Clan (neben weiteren Clans) entgegen. Doch aller Widerstand war zwecklos, und so ergab sich der Shonai-Clan, als er erkannte, dass die Niederlage nicht mehr zu verhindern war. Umgehend erhielt er die Anweisung, seinen Daimyo (Clanführer) in ein anderes Herrschaftsgebiet zu verbringen. Doch mit einer Zahlung von 300.000 Ryo gelang es dem Shonai-Clan, sein Land zu behalten – eine milde Strafe, die der Entscheidung von Saigo Takamori in Verhandlung mit dem ehemaligen Daimyo, den Soldaten und dem Karo (oberster Verwalter) bei ihrem Besuch in Kagoshima zu verdanken war. Suge Sanehide, einer der anwesenden Verwalter, schlug vor, dass der Shonai-Clan als Beitrag zur Modernisierung Japans das umgebende wilde Land kultivieren und mit Maulbeerbäumen bepflanzen sollte, um Seidenraupen auf ihm zu züchten. Saigo willigte ein, und so wurde der Grundstein für die Shonai-Seidenherstellung gelegt.

Schwerter gegen Erdhacken: Das Matsugaoka-Neusiedlungsland

Nach der Meiji-Restauration von 1868 griffen rund 3.000 ehemalige Samurai (und geschätzte 500.000 weitere Arbeiter) des Shonai-Clans zu Erdhacken anstelle von Schwertern und begannen mit der Kultivierung des Landes, wobei sie den größten Seidenraupenzuchtbetrieb Japans im Matsugaoka-Neusiedlungsland gründeten. Dieser Standort war der Vorreiter für die Seidenindustrie, die das tragende Gerüst nicht nur für die Modernisierung Shonais, sondern ganz Japans bildete. Das Matsugaoka-Neusiedlungsland war aber nicht nur ein wichtiger Impulsgeber für die aufstrebende Seidenindustrie, deren Zentrum Tsuruoka City wurde, sondern hatte auch wesentlichen Einfluss auf die Kultur der Region. Samurai-Arbeiter in ganz Japan machten zu Beginn der  Meiji-Ära (ab 1868)  große Landstriche urbar und formten sie zu bäuerlichen Gemeinwesen. Doch nach wie vor ist im Matsugaoka-Neusiedlungsland das Flair jener Zeit erhalten geblieben, und so wurde es beispielhaft für die Bewahrung der Anlagen, Ländereien und Verwaltungsstrukturen, die bis zum heutigen Tag bestehen – ein äußerst seltenes Beispiel für die Geschichte der Kultivierung Japans. Eines der Grundprinzipien des Matsugaoka-Neusiedlungslands lautet: „Gehe moralisch vor, wenn du eine Industrie begründest, erstatte dem Land Bericht, und so wird dein Tun ein Vorbild für alle werden.“ Dieser Grundsatz könnte die Erklärung dafür sein, wie  es möglich war, dass diese Region zum einzigen Ort in Japan wurde, wo das immaterielle Kulturgut des kompletten Verfahrens der Seidenherstellung, einschließlich der Ernte, des Webens, Raffinierens und Bedruckens, noch immer praktiziert wird und als „lebendiges“ Gewerbe bis zum heutigen Tag weitergegeben wurde.

Leben mit den Seidenraupen: Die mehrgeschossigen Bauernhäuser in Tamugimata

Tamugimata mit seinen berühmten mehrstöckigen Bauernhäusern ist eine Siedlung in Tsuruoka City. Sie spielte eine zentrale Rolle bei der Entwicklung des Matsugaoka-Neusiedlungslands an der Rokujurigoe Kaido (alte Handelsstraße), die die Regionen Shonai und Murayama verbindet. Die Zucht von Seidenraupen wurde in der Mitte der Meiji-Ära (1868-1912) eine beliebte Form des Gelderwerbs, und in dieser Zeit erfolgte auch die Umgestaltung der oberen Stockwerke dieser Bauernhäuser in Brutstationen. Da die Siedlung zwischen steilen Berghängen liegt, steht nur wenig Platz zur Bebauung zur Verfügung, zumal dieser Ort berühmt für seine schneereichen Winter ist. Da somit ein  Neubau oder die Erweiterung bestehender Häuser zu schwierig war, machte man aus den mehrstöckigen Häusern kurzerhand Mehrzweckhäuser, die Menschen und Seidenraupen unter einem Dach vereinten. Jedes Stockwerk erfüllte einen anderen Zweck: Der Besitzer und seine Familie wohnten im Erdgeschoss, die Arbeiter im ersten Stock, die Seidenraupen brüteten im zweiten Stock und der dritte Stock diente als Lager. Damals wurde aus Gründen der Effizienz das Dachgeschoss umgestaltet, indem man durch eine Krümmung des Daches Öffnungen („Kohappo“) an allen vier  Seiten schaffte, um Licht hineinzulassen und den Rauch abzuleiten. Hierdurch ähnelt das  Dach von der Seite betrachtet einem Samurai-Helm, weshalb dieser Baustil als „Kabuto Tsukuri“ („Helmstil“) bezeichnet wird. Dieses ästhetische und dabei unverwechselbare Design mit seiner gebogenen Form fügt sich sehr harmonisch in die natürliche Umgebung ein. 

Gelungene Modernisierung: Wirtschaft und Industrie als Vorreiter der Modernisierung

Die Familie Kazama stand im Mittelpunkt der Entwicklung von Tsuruokas Seidenindustrie. Als Lieferanten des ehemaligen Shonai-Herrschaftsgebiets, das zu jener Zeit der Burg Tsuruoka unterstand, brachte die Familie das erforderliche Kapital in die Seidenindustrie ein und wurde später zur wohlhabendsten Kaufmannsfamilie der Stadt, wobei sie auch maßgeblichen Anteil an der Wiederbelebung der Industrie in Tsuruoka hatte. Im Jahr 1896 errichtete das damalige Familienoberhaupt in der siebten Generation, Koemon Kazama, Heishindo auf den Überresten eines ehemaligen Samurai-Hauses. Hieraus wurden das neue Wohnhaus und der Geschäftssitz der Familie. Noch heute verfügt das Haus über das fast 200 Jahre alte Samurai-Tor, ein mit 40.000 Steinen beschwertes Dach, vier Speicherhäuser, die das Hauptgebäude bilden, und die großen Stützrahmen, als  Überreste aus der Blütezeit dieser Kaufmannsfamilie. 

Schaffung eines neuen Kulturguts und die Gründung einer Industrie

Im Chido-Museum in Zentral-Tsuruoka ist ein mehrgeschossiges Bauernhaus zu besichtigen, das von Tamugimata dorthin versetzt wurde. In demselben Komplex war auch die ehemalige Nishitagawa-gun-Regierungsbehörde untergebracht, die Kredite für Maulbeeranpflanzungen vergab und weitere wichtige Funktionen in der Meiji-Ära versah. Ferner wurde in der 1906 erbauten Uzen-Raffinerie Habutai-Seide für den Export produziert, wobei sämtliche Prozesse wie Seidenraupenzucht, Seidenspinnen, Weben, Raffinieren, Färben oder Bedrucken ausschließlich in Shonai durchgeführt wurden. Die Produktionsstätte aus der Meiji-Ära mit dem Verwaltungsgebäude von 1940  ist noch heute in Betrieb. Somit wurden die Geschichte und Kultur der Seidenindustrie in Tsuruoka bis zum heutigen Tage bewahrt und geben einen Einblick in ein bedeutendes historisches Erbe. Im Rahmen eines neueren Projekts namens „Seidenkollektion für Mädchen“ stellen Schülerinnen und Schüler der Tsuruoka Chuo High School Kleider aus Tsuruoka-Seide her, und mit der jüngst in Tsuruoka entworfenen  Kibiso-Seide beschreitet man einen neuen Weg zur Verbreitung japanischer Seide auf der ganzen Welt.  

シルクガールズプロジェクト

株式会社羽前絹練

多層民家 渋谷家

旧西田川郡役所

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